Es gibt eine interessante „Umfrage zu ’25 Jahre Mauerfall‘: Systemvergleich Bundesrepublik/DDR“:
53 Prozent der Deutschen sagen, die Wiedervereinigung hat für sie eher Vorteile gebracht. Drei von vier Ostdeutschen sehen das so. Westdeutsche sind skeptischer: Jeder Vierte sieht sogar eher Nachteile.
Wenn wir es rein materiell betrachten, haben fast alle vorherigen DDR-Bürger vom Fall der Mauer und der Wiedervereinigung profitiert, während die meisten Bürger der alten Bundesrepublik Deutschland Einkommensverluste hinnehmen mussten. In den 1990er Jahren war die Wiedervereinigung selbst mit enormen Kosten verbunden, seither ist der Euro, der seinerseits ein illegitimes Kind der Wiedervereinigung ist, eine noch größere Belastung, weshalb die realen Einkommen für viele seit 1989 kaum gestiegen und für manche sogar gesunken sind. Dagegen sind die Realeinkommen für frühere DDR-Bürger explodiert. Selbst Arbeitslose haben mehr als früher in der DDR Beschäftigte, während es den Rentnern in der DDR besonders schlecht ging.
Vor allem die 14- bis 29-jährigen sehen die deutsche Vereinigung sehr positiv. Im Osten sagen 96 Prozent: „Das hat alles in allem für mich eher Vorteile gebracht.“ 66 Prozent der Westdeutschen sehen das genauso.
Das ist lustig, weil es genau genommen keinen der Deutschen gäbe, der 1990 oder später gezeugt wurde, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte. Das betrifft nicht nur Kinder von Ost-West-Paaren, sondern auch jedes andere Paar wurden hinreichend beeinflusst, so dass nicht dieselbe Samen- auf die gleiche Eizelle getroffen wäre. Doch anderen Individuen, die in einer noch bestehenden DDR geboren worden wären, ginge es materiell und von ihren Freiheiten her tatsächlich weit schlechter als den Kindern der Wiedervereinigung.
In Punkto Vor- und Nachteile der Vereinigung sind die 45- bis 59-jährigen am pessimistischsten: Etwa jeder fünfte Ostdeutsche und mehr als jeder Dritte Westdeutsche sprechen davon, dass Ihnen das historische Ereignis eher Nachteile gebracht hat.
Das ist Jammern auf hohem Niveau. Mein Leben wäre ohne Wiedervereinigung auf jeden Fall anders verlaufen. 1989 studierte ich an der Freien Universität Berlin. Gäbe es noch die Mauer, wäre ich nicht an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert worden und hätte ich mich auch nicht an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald habilitieren können. Auch wäre ich jetzt nicht in der AfD und würde ich nicht diesen Blog schreiben (aber vielleicht einen ganz anderen). Ich hätte meine Frau nicht in Greifswald kennen gelernt, obgleich sie aus der Nähe von Celle stammt, und Fabian wäre jetzt nicht unser Sohn. Persönlich und politisch begrüße ich den Mauerfall und die Wiedervereinigung. Bei letzterer hätte man vieles besser machen können, aber insgesamt war das die richtige Entscheidung und die Idee von SPD (oder zumindest Oskar Lafontaine) und PDS, die DDR als neutralen Staat fortzuführen, wurde zu Recht nicht gewählt.
Nach wie vor fallen die Urteile der Ostdeutschen zu den Stärken der vergangenen DDR beim Gesundheitssystem, bei der sozialen Absicherung, der Gleichberechtigung von Frau und Mann, beim Schutz vor Kriminalität und Verbrechen und beim Schulsystem sehr positiv aus.
Ich war einige Male in der DDR, als es sie noch gab. Auch der Blick in die Statistiken zeigt, dass hier die Vergangenheit verklärt wird. Die Gleichheit (bzw. Ähnlichkeit der Lebensumstände) war in der DDR größer, aber auf einem insgesamt viel niedrigeren Niveau. Der Gesundheitszustand war schlechter und die Lebenserwartung geringer. Das Niveau der sozialen Absicherung war viel geringer und Frauen durften nicht, sondern mussten arbeiten wie Männer. Die individuelle Kriminalität war geringer, dafür war die staatliche ungleich höher. Das Schulsystem war tatsächlich weniger marode als unser heutiges, doch der Anteil der Abiturienten z. B. viel geringer und deren Auswahl stark politisch motiviert.