Kaderpartei

Geert Wilders ist das einzige Mitglied seiner Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid, PVV) in den Niederlanden. Sebastian Kurz lässt sich von der ÖVP in Österreich nahezu alle Macht übertragen (siehe „Die ÖVP gibt Sebastian Kurz alle Macht“). In Deutschland wäre beides durch das Parteiengesetz und die Wahlgesetze verboten. Man kann darüber streiten, ob Parteien intern demokratisch verfasst sein sollen oder die Demokratie insgesamt durch eine größere Vielfalt an möglichen Parteien gewinnt. Auf jeden Fall sind die Regeln in Deutschland sehr rigide. Sie verhindern nicht nur undemokratisch verfasste Parteien, sondern auch besonders (basis)demokratische, weil sie im Grunde allen Parteien ein ähnliches Delegierten- und Funktionärsmodell vorgeben. Nur ganz neue bzw. kleine Parteien können sich dem entziehen, während wachsende Parteien dadurch besondere Probleme bekommen.

Wenn die Parteien in Deutschland eher Teil des Problems als der Lösung sind, sollte man die entsprechenden Gesetze vermutlich ändern, was aber wiederum nur über die Parteien ginge, die daran gar kein Interesse haben. Selbst wenn neue Parteien hier Änderungen sowie die Einführung von Volksentscheiden fordern, so nehmen sie das schnell nicht mehr ernst, sobald sie sich selbst etablieren wie die Grünen oder augenblicklich die AfD, die wie die anderen Parteien noch von mehr Demokratie reden, diese aber nicht mehr wirklich leben. Folglich lohnt das Nachdenken darüber, wie sich die bestehenden Gesetze formal einhalten, aber doch zu anderen Gestaltungsformen nutzen lassen.

Die Lösung ist eine kleine Kaderpartei. Grundsätzlich lässt sich eine solche Partei für ganz verschiedene Zwecke nutzen und eröffnet damit die Spielräume, die in anderen Ländern ohnehin bestehen. So könnte Bernd Lucke nach AfD und LKR eine echte Bernd Lucke Partei gründen. Er dürfte nicht ihr einziges Mitglied sein, aber die Mitgliedschaft auf den engsten Familienkreis beschränken. Eine solche Kaderpartei könnte aber auch besonders demokratisch sein und z. B. Internetabstimmungen und  -wahlen durch zahlreiche Anhänger oder sogar die Bevölkerung allgemein umsetzen. Ein ‚Wahlverband‘ ließe sich so organisieren oder auch ein ‚Wahlverein als ganz andere Partei‘.

Eine solche Kaderpartei würde so funktionieren, dass sie fast keine Mitglieder hat. Neuzugänge dürfen nicht pauschal verboten werden, doch sie könnten durch prohibitiv hohe Mitgliedsbeiträge abgeschreckt werden, die den wenigen erwünschten Mitgliedern größtenteils erlassen werden. Ablehnungen einzelner Beitrittsgesuche sind ohnehin ohne Begründung zulässig. Vermutlich reichen bundesweit sieben Mitglieder, von denen die meisten im Vorstand sitzen, einer die Kasse prüft und noch einer den Schiedsrichter spielt. Vorstand und Mitgliederversammlung treffen die gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungen, der Rest wird an Personen delegiert, die formal gar keine Mitglieder sind. Wenn sie nicht mehr der Linie der Partei folgen sollten, wird die Delegation geändert. Für Wahlen kann es nötig sein, Wahlversammlungen von Mitgliedern auf Landes- oder sogar kommunaler Ebene abzuhalten. Die Lösung sind hier Kurzmitgliedschaften für z. B. nur einen Tag, die zulässig sind, wenn sie satzungsmäßig verankert wurden (was LKR nicht machte). Der Vorstand nimmt dann beispielsweise die zu wählenden Kandidaten für einen Tag auf, damit sie sich selbst bzw. gegenseitig wählen können. Im Übrigen kann es Förderer, Kandidaten und Unterstützer geben, die der Partei durchaus langfristig verbunden sind, ohne die vollen Mitgliederrechte zu besitzen.

Wie lässt sich verhindern, dass die wenigen echten Mitglieder der Kaderpartei deren Prinzipien verraten und sich z. B. nur noch selbst begünstigen? Erstens ist das über einen persönlichen Zusammenhalt etwa unter Familienmitglieder möglich. Zweitens könnten die dauerhaften Mitglieder wie die Tagesmitglieder solche Personen sein, die ohnehin von der Partei profitieren, weil sie etwa Mandate oder bezahlte Tätigkeiten über die Partei bekommen. Drittens kann das Grundprinzip einer solchen Partei, sei es die Gefolgschaft zu Bernd Lucke oder die Verwirklichung echter Basisdemokratie für alle registrierten Anhänger, so stark beworben werden, dass die Partei bei einem Verstoß dagegen ihre Identität und ihre Wähler verliert. Schließlich ist es möglich, die Kaderpartei nur für eine Übergangszeit vorzusehen, bis die Gefahren einer wachsenden Partei mittlerer Größe überwunden sind. Dann wird der großen Zahl der Anhänger die Vollmitgliedschaft angeboten, was jedoch wiederum entweder die Einführung von Delegierten oder die Abhaltung sehr großer Mitgliederparteitage erfordert, während Abstimmungen im Internet unverbindlich bleiben bzw. nur von einem verschworenen Kader sicher umgesetzt werden.

14 Gedanken zu „Kaderpartei

  1. Herr Lucke könnte mit so einer Partei kaum mehr als einen Achtungserfolg erzielen, etwa wieder in das Europaparlament einziehen.
    Herr Kurz hat Herrn Lucke mehrjährige Ministererfahrung voraus. Außerdem steht er ziemlich gut in der Medienöffentlichkeit da mit populären Themen. Außerdem sind die Voraussetzungen in Österreich günstiger mit den großen Parteien ÖVP und FPÖ, die nicht so in der Ecke stehen wie mitunter die noch relativ kleine AfD.

    Das Thema Lucke mal ausgeklammert, bedürfte es prominenter Führungspersönlichkeiten und vor allem einer hochprofessionellen Strategie und Marketingkampagne.

    • Herr Lucke war nur ein Beispiel für eine personenzentrierte Kaderpartei. Alternativ kann sie sich an einer Idee bzw. Ideologie orientieren oder der Verwirklichung eines demokratischen Prinzips.

      • Jemand wie Roger Köppel fehlt bei uns. – Als Alternative ohne Fokussierung auf eine einzelne Person bräuchte man eine breit angelegte Kampagne, unterstützt von einer Vielzahl von Promis als Grundlage für eine solche Partei. Große, von der Wirtschaft oder Verbänden generierte Kampagnen für politische Ziele gibt es ja viele, z.B. INSM, „wir zusammen“, „respect“ etc., allerdings wäre neben zum Teil (deutlich) anderen Zielen auch eine Transformation in den parteipolitischen Raum erforderlich.

  2. Wer sollte eine solche Partei wählen?
    Wähler wollen den Anschein demokratischer Strukturen. Die Massenmedien würden ein solches Gebilde in null komma nix zerreißen. Davon abgesehen leuchtet mir nicht ein, wer sich in einer solchen Partei engagieren sollte, wenn er von vorne herein (von Ämtern und einflussnahme) ausgeschlossen ist. Es braucht allerdings Aktive für die Arbeit und Wahlwerbung vor Ort. Das könnten doch höchstens lokale groupie- Fanclubs sein, so was scheint mir für die trockene Politik allerdings utopisch.

    • Die Wähler wollen vor allem ein gutes Angebot zur Wahl, Aktive sich für eine gute Sache engagieren oder selbst einen Posten. In anderen Ländern werden solche Parteien gewählt. In Deutschland engagieren sich viele z. B. bei Greenpeace, ohne formell Mitglied zu sein.

  3. Kaderparteien haben wir schon genug.

    Die REPS zum Beilspiel oder die Violetten,die ….

    Hier geht es denen auch nicht darum irgendetwas zu bewegen,sondern sagen zu können –
    “ Ich bin Vorsitzender von „.

    Das ist fast wie die Reichsbürger,wo man König von seiner Gartenlaube ist und die Großmutter den Grenzschutz und der Opa die Flugabwehr mit seinem Luftgewehr stellt.

    Lucke ist ähnlich gestrickt,er will Vorsitzender von irgendwas sein – Punkt.

    • Eine schlechte Partei wird nicht dadurch besser, dass sie kadermäßig organisiert ist, eher im Gegenteil. Eine großartige (oder auch nur sehr große) Partei hat das auch nicht nötig. Doch wenn ich überlege, was bei der AfD oder auch vorherigen anfangs erfolgreichen Gründungen schieflief, dann hätte zumindest vorübergehend ein solcher Organisationsaufbau helfen können. Dadurch ist es nicht nur leichter, sich von problematischen Personen zu trennen, sondern gute Leute können auch leichter gefördert werden, zumal sie keine Gefahr für die Parteiführung darstellen. Schließlich wird weniger Energie durch interne Machtkämpfe und Kungeleien verschwendet.

  4. Mal was anderes, sorry für offtopic, weiß eigentlich jemand ob diese besessenheit von hate speech und politisch unkorrekter Hetze im Internet wieder ein rein deutsches Phänomen ist (analog Energiewende, Eurorettung, willkommenskultur,…) oder gibt es dieses Thema auch in anderen zivilisierten Ländern (einschließlich regulierungsabsicht)?

      • Eine gesetzesiniative analog der maas’chen dürfte aber ein unikum in der westlichen Welt sein, oder?
        Diese richtet sich nach meinem Verständnis auch primär an (rechte) „hetze“ und „hatespeech“ und weniger an Fake News.

  5. Die in der Nachkriegszeit gewachsene Parteienstruktur ist in der Tat überholt und begünstigt deren Selbstbedienungsmentalität. Da die Machtstrukturen zementiert sind, ist eine Änderung leider nicht in Sicht. Mit Satire und allen bösen Formen des Spotts, einschließlich Zynismus und Sarkasmus müssen wir dagegen vorgehen!

  6. Pingback: Direktdemokratische Plattformpartei | Alexander Dilger

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