Katalanisches Unabhängigkeitsreferendum trotz Polizeigewalt

Heute fand in Katalonien ein Unabhängigkeitsreferendum statt, welches von Polizeigewalt überschattet wurde. Das spanische Verfassungsgericht hatte zuvor das Referendum für illegal erklärt, weil die spanische Verfassung kein ‚Demokratisches Sezessionsrecht‘ vorsieht. Die katalanische Provinzregierung hat das Referendum trotzdem organisiert, weshalb die spanische Zentralregierung Polizisten entsandte, die willkürlich gegen einzelne Wahllokale und Wähler vorgingen. Dadurch wurde das Referendum, dessen Ergebnis noch nicht vorliegt, nicht verhindert, aber das Streben nach Unabhängigkeit befeuert. Bis vor kurzem gab es noch keine Mehrheit dafür, was sich nun geändert haben könnte.

Die spanische Regierung sollte mit der katalanischen Regierung verhandeln, wie sich der Autonomiestatus der Provinz verbessern lässt und unter welchen Bedingungen die Unabhängigkeit möglich wäre. Eine einseitig erklärte Abspaltung muss Spanien nicht hinnehmen, doch wenn es gar keine legale Möglichkeit für ein grundsätzlich legitimes Anliegen gibt, dann begünstigt man illegales Verhalten.

Warum hat die spanische Regierung nicht einfach ein unverbindliches Referendum zugelassen? Vielleicht hätte sich die Mehrheit für den Verbleib in Spanien ausgesprochen. Vielleicht hätten auch nur so wenige teilgenommen, dass niemand die Sache ernst genommen hätte. Doch selbst eine klare Mehrheit hätte bei einer unverbindlichen Volksbefragung einfach ignoriert werden können, wie das in etlichen deutschen Bundesländern üblich ist, zuletzt bei der Abstimmung über den Erhalt des Flughafens Tegel in Berlin.

Wenn man schon ein solches Referendum verhindern will, dann sollte man das richtig anfassen, also es tatsächlich verhindern, ohne Hunderte einfache Bürger zu verletzen. Warum wurden nicht stattdessen die Verantwortlichen entlassen, angefangen bei der Provinzregierung bis hin zu den Staatsbediensteten, die sich aktiv an der Organisation des verbotenen Referendums beteiligten? Allerdings würde auch dadurch nur Zeit gewonnen. Wenn die Katalanen mehrheitlich Spanien verlassen wollen, wird Spanien als liberale Demokratie das nicht dauerhaft verhindern können. Die politische Aufgabe der spanischen Regierung wäre es, das nicht gewaltsam zu verbieten, sondern die Katalanen davon zu überzeugen, dass sie von sich aus bleiben wollen.

50 Gedanken zu „Katalanisches Unabhängigkeitsreferendum trotz Polizeigewalt

  1. Ich bin schockiert. Ein Staat, der seine eigenen Bürger verprügelt, hat jegliche Legitimation verspielt.

    Dumm war das Verhalten noch dazu. Es gab keine Mehrheit für eine Abspaltung, wohl aber für ein Referendum. Die heutigen Bilder wird man in Katalonien nicht vergessen. Die verprügelten Großmütter werden Narben hinterlassen. Heute wird nicht nur das Ende von Rajoy seinen Anfang genommen haben. Der 1. Oktober wird als Nationalfeiertag Kataloniens in die Geschichte eingehen. Die Unabhängigkeit wird sich nach den heutigen Ereignissen nicht verhindern lassen. Sie wird nicht morgen passieren, aber spätestens in ein paar Jahren. Die katalanische Regierung hat richtig kalkuliert. Kein noch so berauschender Sieg hätte mehr Wirkung gehabt, als dieser von Rajoy verordnete Blutrausch. Diese Narben werden nicht verheilen. Falls für Spanien überhaupt noch etwas zu retten ist, dann wird Rajoy sehr bald gehen müssen.

    Kein Volk kann sich von einem Staat so behandeln lassen. Und kein Staat kann sich auf Gesetze zurückziehen, die ungerecht sind, und dem Souverän, also dem Bürger, keine demokratische Veränderung gestatten.

    Auch hier muss ich eine Medienkritik anbringen. Man liest immer, es ginge um eine Umverteilung des Wohlstands. Das mag eine Rolle spielen. Vielmehr ist es aber eine Frage der Identität und auch eine Frage der Geschichte. Die Narben der Unterdrückung während der Diktatur Francos sind nicht verheilt. Der Nationalstolz in Katalonien ist groß. Der Stolz auf die katalanische Sprache auch. Nicht nur in Katalonien, auch in Valencia. Auch in anderen Regionen Spaniens sind immer noch Wunden offen.

    Ich habe Bekannte in Barcelona. Manche werden jubeln, der Wille zur Unabhängigkeit war stets ungebrochen. Andere, aus dem Zentrum Spaniens stammend, werden Angst vor dem Kommenden haben. Noch vor 4 Wochen haben wir darüber gesprochen. Dass es so gekommen ist, ist für mich völlig surreal. Diese Bilder hätte ich in Westeuropa nicht mehr für möglich gehalten.

    Wer keine anderen Argumente gegen friedliche Menschen und Wahlen hat als Waffengewalt, der ist eine Schande. Was kommt als nächstes? Ich bin fassungslos.

    Mir tun die Polizisten leid, die einem bornierten Ministerpräsidenten zu seinem Recht verhelfen mussten und für den kein Preis zu hoch war.

    • Die Polizei muss gegen Kriminelle vorgehen, notfalls auch mit Gewalt. Der Fehler der spanischen Regierung war es, ganz normale Bürger für die Ausübung eines legitimen, wenn auch nach spanischem Recht nicht legalen, politischen Rechts zu kriminalisieren. Das führt tatsächlich dazu, dass sich immer mehr Bürger solidarisieren. Mich würde interessieren, ob jetzt nicht auch andere Spanier außerhalb Kataloniens das Handeln ihrer Regierung hinterfragen.

      • Sie werden es, vor allem in den Regionen außerhalb von Madrid. Eine Anti-Madrid-Stimmung besteht keineswegs nur in Katalonien. Madrid wir als arrogant und beherrschend wahrgenommen.

        Polizeigewalt ist legitim für die Einhaltung legitimer Gesetze. Wenn aber Menschen nicht darüber abstimmen dürfen, wer sie seien wollen, dann ist das illegitim. Der Staat besteht aus der Summe der Bürger, die sich freiwillig für ihn entscheiden und ihn begründen. Eine Regierung, die sich die Menschen aussucht und sie gehen ihren Willen trotzdem regiert, die begründet einen Unrechtsstaat.

        Eine vernünftige spanische Regierung wäre auf die Forderungen nach mehr Autonomie eingegangen und hätte notfalls ein Referendum gestattet. Es wäre wie das schottische ausgegangen.

        Selbst vor einer Woche hätte man noch viel vernünftiger handeln können. Man hätte die Wahlen zulassen müssen. Viele Wähler wären aus Protest daheim geblieben und das Referendum wäre kaum eine solide Grundlage für eine Unabhängigkeit gewesen. Damit werden auch die Politiker Kataloniens nicht gerechnet haben. Man hätte es aber als Startpunkt für eine Verhandlung über mehr Autonomie und notfalls ein von Spanien anerkanntes erneutes Referendum akzeptieren können. Man hätte sich kooperativ auf Nachreferendumszustände einigen können und hätte vermutlich den spanischen Staat friedlich erhalten. Ein Staat, der sich nur erhalten kann, wenn er friedliche! Menschen niederprügelt, der hat als Demokratie ohnehin keine Zukunft.

      • „Der Staat besteht aus der Summe der Bürger, die sich freiwillig für ihn entscheiden und ihn begründen.“ Die meisten Staaten wurden anders gebildet. Ein Staat kann tatsächlich durch Gewalt gegen den Willen der Mehrheit seiner Bürger zusammengehalten werden. Es handelt sich dann allerdings nicht um eine liberale Demokratie.

      • Demokratische Institutionen und Gesetze müßen, notfalls mit Gewalt , respektiert werden und nicht die Strasse. Wer welche Rolle in Katalonien gespielt hat ist noch ziemlich offen. Es scheint, es handelte such nicht um eine demokratische Entscheidung der katalanischen Aktivisten!

        Ja, und was machen jetzt die Basken? Soll Europa für eine „Atomisierung“ der Staaten und Supernationalismus bezahlen?

      • „Soll Europa für eine „Atomisierung“ der Staaten und Supernationalismus bezahlen?“

        Die Vorstellung mag Ihnen nicht gefallen, Herr Juncker, aber wenn Ihr Eurokraten so weiter macht, wird die EU nicht aus künftig 90 Kleinstaaten bestehen, wie von Ihnen befürchtet, sondern ganz zerfallen. Das böte dann die Chance zu einer vernünftigen Neustrukturierung zu finden.

    • Selbst wenn es um Umverteilung von materiellem Wohlstand ginge, sollte sich die Zentralregierung – im übrigen genauso wie unsere Bundesregierung oder die Institute der EU – überlegen, mit welcher Begründung bestimmte Regionen sich von den prosperierenden Regionen dauerhaft aushalten lassen wollen.

      Übergangsweise ist regionale Umverteilung als Entwicklungshilfe in Ordnung. Wenn mit der Umverteilung keine Entwicklung einhergeht, dann muss der Hahn zugedreht werden. Es gibt keine legitime Begründung, sich dauerhaft durchfüttern zu lassen.

      Dass prosperierende Regionen keine Lust haben, irgendwann als Kolonie der ärmeren Regionen behandelt zu werden, das dürfte auf der Hand liegen.

      In Deutschland haben wir auch ein stückweit das Problem, dass es sich einige Bundesländer in Subventionen und Länderfinanzausgleich gemütlich gemacht haben. Das Bundesland NRW mit den früheren Umverteilungsregierungen ist so ein Beispiel.

  2. Zitat Alexander Dilger:

    „Die politische Aufgabe der spanischen Regierung wäre es, das nicht gewaltsam zu verbieten, sondern die Katalanen davon zu überzeugen, dass sie von sich aus bleiben wollen.“

    Ganz bei Ihnen.
    Die Argumentation der spanischen Regierung und der entsprechenden Gerichte ist m.E. unhaltbar und letzten Endes sogar absurd. Denn das Recht der Menschen, demokratisch über sich selbst zu bestimmen, bildet doch – neben Prinzipien wie denen der Menschenwürde – die Basis jeder Verfassung, die irgendeine „Verbindlichkeit“ für sich beanspruchen möchte. Damit ist das Prinzip der Selbstbestimmung – wie etwa auch das der Menschenwürde – aber auch jeder positive gesetzten Verfassung „vorgelagert“, und diese kann nicht gegen jenes ausgespielt werden.

    Franco hatte Angst, dass nach seinem Tod die Demokratie in Spanien kommen würde. Nehmen wir an, er hätte eine Verfassung durchgesetzt, in der a) die Demokratie für die Zukunft verboten wird und b) untersagt wird, dass jemand diese Verfassung je ändert. (Vielleicht hätte er mit massiver Propaganda sogar eine Volksabstimmung in diesem Sinne für sich entscheiden können.)
    Zwar wäre die Einführung der Demokratie in Spanien dann tatsächlich formell „illegal“ gewesen. Allein: Begriffe die „Legalität“ und „Illegalität“ hätten in diesem speziellen Zusammenhang dann jede normative Bedeutung verloren. Und sich dann gegen den Wunsch der Spanier nach Demokratie auf eine solche Verfassung zu berufen oder gar die Gerichte zu ihrem Schutz anzurufen, wäre doch wohl bestenfalls eine alberne Posse gewesen.

    Wenn man einem Volk verbietet, über sich selbst zu bestimmen, was ist dann die Alternative? Fremdbestimmung in dem Sinne, dass eine Zentralregierung einem Volk mit Gewalt ihren Willen aufzwingt? Im Absolutismus, als man meinte, dass Land und Volk dem Monarchen „gehörten“, mag das eine verständliche Gesichtsweise gewesen sein. Im Zeitalter der Demokratie müsste sie doch eigentlich als anachronistisch gelten.

    Und dass ungerechtfertigte oder unangemessene Gewaltakte durch Polizisten genau zu verfolgen sind wie andere kriminelle Delikte auch, sollte wirklich eine Selbstverständlichkeit sein. Alles andere liefe (zumindest im Ansatz) auf einen Polizeistaat hinaus.

    „…Spanien als liberale Demokratie…“
    Ist nur die Frage, in welchem Maße Spanien das wirklich ist, mit Betonung der Frage auf dem Attribut „liberal“. Nach dem, was man allein schon über das Polizeirecht gelesen hat – von der Polizeipraxis mal ganz zu schweigen – können einem da Zweifel kommen:
    http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/spanierin-muss-fuer-foto-eines-polizeiautos-strafe-zahlen-13756044.html

    • Entscheidend ist hier wohl der Volksbegriff, über den auch in Deutschland inzwischen große Verwirrung herrscht. Wenn man von einem einheitlichen spanischen Volk ausgeht, dann sind die Katalanen einen Minderheit, die sich gegen die demokratische Mehrheit auflehnt. Die Katalanen betrachten sich jedoch als eigenes Volk, welches unterdrückt wird.

    • Eine eindeutige Antwort!
      Kann Katalonien allein überleben ohne, dass wir die Steuerzahler auch solchen nationalistischen Irrsinn alimentieren müssen. Unabhängigkeit falls legal ja, aber auf eigene Kosten!

      • Natürlich kann sich Katalonien rein wirtschaftlich die Unabhängigkeit leisten. Es ist die reichste Region Spaniens. Echte Größenvorteile des spanischen Staates gibt es kaum. Wir zahlen dann höchstens mehr, weil die Katalanen weniger zahlen.

    • Von annähernd 3 Millionen abgegebenen Stimmzetteln wurden 770.000 beschlagnahmt. Damit wären wir schon mal bei einer Wahlbeteiligung von etwa 55%. Wieviele Menschen konnten gar nicht am Referendum teilnehmen, weil schon vorher Wahlurnen und Stimmzettel „gestohlen“ wurden? Wieviele Menschen gingen nicht hin, weil sie erfolgreich eingeschüchtert wurden?
      Die Zahl der Abspaltungswilligen läßt sich mit den offiziellen Zahlen so nicht feststellen.

  3. „Warum hat die spanische Regierung nicht einfach ein unverbindliches Referendum zugelassen? Vielleicht hätte sich die Mehrheit für den Verbleib in Spanien ausgesprochen. “

    Ja eben, das ist die Frage. Und dazu den Katalanen sehr deutlich machen, was es für sie wirtschaftlich bedeutet, wenn die austreten.

    Mich dünkt es, dass die Parteiendemokratie eine Negativauslese an Politikern an die Spitze bringt. Nicht nur in Spanien.

    Napoleon wusste schon: „Auf Bajonetten lässt sich nicht gut sitzen.“
    Der Staat kann mit Gewalt Aufruhr niederschlagen, aber kein funktionierendes Staatswesen erzwingen. Was macht die spanische Regierung wenn der Aufruf zum Generalstreik erfolgreich ist? Die Arbeiter an die Arbeitsplätze prügeln?

    Die Aufruhr wird weiter gehen und wenn es die ersten Toten gibt, werden die Beerdigungen zu Massendemonstationen gegen die Zentralgewalt.

    In Bayern läuft übrigens schon seit Jahren eine Volksbegehren zum Austritt Bayerns.

    http://freiheit-fuer-bayern.de/volksbegehrenstext

      • Was macht Sie da so sicher?

        Bislang gab es kein Referendum. Und je länger Frau Merkel ihre DDR 2.0 – also das heutige Deutschland – regiert, desto mehr Zustimmung wird ein solches Referendum (so es denn kommen sollte) erfahren.

      • Es gibt keine Volksbewegung für eine Sezession und ein entsprechendes Referendum in Deutschland. Zu einer Demonstration dafür käme kaum ein Dutzend Leute.

      • Es gibt in Bayern eine Partei, die die Unabhämngigkeit fordert, und zwar die Bayernpartei. Diese Partei wird jedoch kaum gewählt.

      • Die Bayernpartei arbeitet äußerst amateurhaft. Sie veranstaltet gelegentlich Ausfahrten für ihre älteren Herren auf Harley- und BMW-Motorrädern mit Griffheizung, das war´s dann aber schon. So gewinnt man weder Bekanntheit für ein an sich hoch interessantes Volksbegehren (siehe Link von Herrn Benzell), noch eine relevante Anzahl von Stimmen bei den Wahlen.

  4. Wieder mal ein klassischer Fall für die Anwendung des Böckenförde-Diktums:
    https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%B6ckenf%C3%B6rde-Diktum
    „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ In konkreten Fall hat ein demokratisches Spanien keine Möglichkeit, mit rein demokratischen Mitteln eine Unabhängigkeit Kataloniens zu verhindern, so sie denn von der Mehrheit der Katalanen gewünscht wird (was keinesfalls sicher ist, oder zumindest bis letzten Sonntag nicht sicher war). Einen beträchtlichen Nachteil hätte die Unabhängigkeit ja in jedem Fall: kein Real gegen Barca mehr (außer hin und wieder vielleicht mal in der Champions-League). Der Kampf um den Titel des katalanischen Meisters dürfte noch langweiliger werden als der um den des DDR-Meisters. Hier müsste die Überzeugungsarbeit ansetzen 😉

  5. 1) Wird sich die EU zu diesen Vorgängen in Katalonien vornehm zurückhalten?
    2) Angenommen, Katalonien wird mittelfristig unabhängig. Wäre das ein Beispiel für eher linken Nationalismus und wie wird sich dann Katalonien ggü. der EU verhalten? Ein „Tausch Brüssel gegen Madrid“ ist ja auch nicht verheißungsvoll.

    • Die EU will sich heraushalten. Bei Schottland hat sie die Position vertreten, dass es ein neuer Staat geworden wäre, der seine EU-Mitgliedschaft ganz neu beantragen müsste mit Vetorecht für jedes vorhandene EU-Mitglied. Mal sehen, ob man an Katalonien die gleichen Anforderungen stellt, dessen Beitritt dann vom übrigen Spanien blockiert würde.

  6. Die Geschichte Spaniens ist geprägt von der Reconquista d.h. ein rund 800 Jahre dauernder Bürgerkrieg. Auch danach bleib ein potentiell gespaltener Staat zurück. Die erste Aufgabe der Inquisition war die Enttarnung heimlicher, nicht königstreuer Muslime.
    Katalonien ist zusammen mit dem Baskenland die wirtschaftlich weitest entwickelte Region, die auch den stärksten europäischen Charakter aufweist. Die Katalanen betrachten die Gebiete südlich von Tarragona als Afrika. Der Geist des übrigen Spaniens war nach dem Motto der Franco-Truppen „Eviva el Muerte.“ 1940 wurde von eben diesen Truppen der letzte Präsident Kataloniens hingerichtet, Schauprozess, Justizmord.
    Der jetzt gewiss folgende Austritt Kataloniens aus Spanien wird zu weiteren separatistischen Bewegungen führen, Basken, Korsen Bretonen und vielleicht sogar Venezier warten darauf. Genau das Gegenteil des angestrebten europäischen Superstaates.
    Ein Teil der Antwort wäre die Renationalisierung der EU, wobei eine Kantonalisierung nach Schweizer Vorbild wegen der Größe der Nationen kaum machbar erscheint. Kleine Einheiten sind der Demokratisierung zuträglicher.
    Katalonien erstreckt sich auch bis Südfrankreich (Montpellier), wobei der französische Anteil keine Abspaltungstendenzen zeigt. Wirtschaftlich wird der Austritt aus Spanien schwieriger als der Brexit.
    Herr Bentzel: Der Spruch mit den Bajonetten stammt von Talleyrand als Entgegnung auf die Äußerung Napoleons, was man alles mit Bajonetten anfangen könne.

    • Verantwortliche Politiker würden jetzt ein rechtsstaatlich einwandfreies Referendum einleiten. Vor diesem Referendum sollten selbstverständlich alle Abspaltungsformalitäten geklärt sein, sodass die Bürger auch wissen, über was sie letztendlich abstimmen. Hierbei erwarte ich selbstverständlich Größe und den „europäischen Geist“, den die EU sonst bei jeder Gelegenheit beschwört.

      Es spricht überhaupt nichts gegen eine EU-Mitgliedschaft Kataloniens, der verletzte Stolz Spaniens kann da keine Begründung sein. Katalonien sollte aber auch seinen Teil an den spanischen Staatsschulden übernehmen, das sollte klar sein. Katalonien ist groß genug eigenständig zu existieren. Eigenständigkeit würde aber natürlich auch Verantwortung bedeuten.

      Die Dauer dieses Prozesses dürfte 1-2 Jahre gehen. Danach sollte in Ruhe und Frieden eine Entscheidung getroffen werden.

    • Falsch. Je kleiner und fragmentierter die Staatenwelt in Europa, desto leichter kann die Bruesseler ‚Zentrale‘ ueber einen europaeischen Superstaat herrschen. Teile und herrsche, das wussten schon die roemischen Kaiser.

      • Entscheidend ist, was sich die Staaten bzw. ihre Regierungen gefallen lassen. In der EU will das große Deutschland doch immer vorneweg marschieren, während kleinere Staaten mehr Widerstand gegen die Einschränkungen ihrer Souveränität leisten. Katalonien wäre vermutlich sehr EU-gläubig, würde jedoch am Anfang gar nicht dazu gehören.

  7. Aufgrund der vielen Zuwanderungen aus ganz Spanien in die Wirtschaftsregion Katalonien hätte ich einen Sieg bei dem Referendum unter fairen Bedingungen unwahrscheinlich gehalten. Die Katalanen bangen um ihre eigene Identität. Ähnlich wie die Basken. Daher besteht ein größer Wunsch nach Unabhängigkeit.
    Die spanische Verfassung wurde noch unter dem starken Eindruck von 40 Jahren Frankidiktatur eingeführt. Seitdem hat Spanien einen Riesensprung nach vorne gemacht und viele Befürfnisse haben dich geändert. Vielleicht hat das Zusammenspiel der Institutionen nicht so geklappt wie ursprünglich gedacht. Alle autonomen Regionen machen inzwischen große Defizite, wodurch sie auch abhängig vom Zentralstaat werden, der dafür haftet. Im Gegensatz zum Bundesrat haben die Regionen nur geringen Einfluss auf den Senat, der zu 80% direkt gewählt und zu 20% von den Regionen bestimmt wird. Gerade von einigen Dchriftstellern kommt der Vorwurf, dass die zentrale Regierung immer mehr Hindernissr zu Wahrung der katalanischen Sprache aufbaut.
    Vielleicht wäre einer Art Bundesstaat hilfreicher, bei dem die einzelnen Regionen mehr Mitsprache haben. In Deutschland wäre ein Zentralstaat aufgrund seiner föderalen Historie auch gescheitert. Vielleicht muss man in Spanien nun nachjustieren.

    • Die Katalanen bangen nicht um ihre Identitaet. Die linke Buergermeisterin von Barcelona lachte auf den Trauerfeierlichkeiten zum Massaker auf den Las Ramblas. Nationalistische Demonstranten gegen den islamischen Terror wurden von der Antifa von der Strasse gepruegelt. Kaum ein Land in Europa toleriert groessere Protzmoscheen als Katalonien. Wenn die Katalanen ein intaktes Nationalgefuehl haetten, wuerden sie die Bedrohung fuer ihre Kultur und Lebensweise nicht im spanischen Brudervolk, sondern in der Zuwanderung aus dem Maghreb sehen.

      Worum es sich bei der katalanische Unabhaengigkeitsbewegung handelt, ist – wie in Schottland – blanker oekonomischer Egoismus. Man will nicht laenger mit der Zentralregierung teilen.

      • Schottland würde außerhalb vom Vereinigten Königreich wirtschaftlich verlieren, so wie dieses durch den Brexit verliert. Es geht also um andere Motive. Aber was ist denn überhaupt dagegen zu sagen, dass Regionen keine Zwangsabgaben ohne adäquate Gegenleistung zahlen möchten? Ein liberaler und demokratischer Staat muss dafür sorgen, dass alle Teile bis hinab zu den Haushalten und Individuen seine Politik zumindest akzeptieren und besser noch von ihr profitieren. Sezessions- und Auswanderungswünsche sind selten absolut, sondern lassen sich durch das Aushandeln von anderen Arrangements zum gegenseitigen Vorteil abwenden. Das geht natürlich nicht, wenn man mit knappsten oder vielleicht sogar fehlenden Mehrheiten einfach durchregiert.

  8. Ich kenne Katalonien sehr gut, habe sogar einmal ein Jahr in Barcelona gelebt.
    Was gestern zu beobachten war, verschlägt einem wirklich die Sprache.
    Insbesondere mag ich mir gar nicht vorstellen, was FDJ-Merkel oder ihr Innenminister anordnen würden, wenn ein Referendum für den Austritt Bayerns oder Baden-Württembergs aus der Umverteilungsrepublik Deutschland abgehalten würde …

  9. Linke wollen die Unabhängigkeit Kataloniens, aber nicht die Selbstbestimmung Südtirols.
    Welch eine verlogene Bande!

  10. Eine Volksabstimmung in einem Bundesland zu erzwingen zum Austritt eines Landes aus dem Bund hat das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr abgelehnt. So weit ich mich erinnere war die Begründung, dass auf Grund des GG alle Bundesländer sich an der Abstimmung hätten beteiligen müssen. Gilt diese Regelung für die spanische Verfassung auch, ist sie ähnlich oder nicht festgelegt.

    • Im Grundgesetz gibt es keine Regelung zum Austritt eines Bundeslandes aus der Bundesrepublik Deutschland. In der spanischen Verfassung wird die staatliche Einheit noch stärker beschworen. Hier kann nur mit ganz allgemeinen völker- und staatsrechtlichen Prinzipien argumentiert werden.

  11. Das spanische Verfassungsgericht hat allerdings auch geurteilt, dass eine verhandelte Ablösung Kataloniens verfassungsrechtlich möglich wäre – wegen des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Lediglich die einseitige Austrittserklärung Kataloniens sei verfassungswidrig.
    Vielleicht wäre letztlich eine Konföderation zwischen Spanien und einem unabhängigen Katalonien möglich, bei der König von Spanien das gemeinsame Staatsoberhaupt bleibt, analog dem britischen Commonwealth.
    Betr. Ihres Beitrages vom 2.10. um 00:46 würde ich gerne eine Stellungnahme abgeben bei einem passenden Blogbeitrag. Vorweg für den Ökonomen: Die zwei wichtigsten Lebensentscheidungen, Wahl des Berufes und Wahl des Lebenspartners, sind fast nie rational oder gar wissenschaftlich.

    • Die spanische Verfassung sieht keine Sezession vor. Wenn alle zustimmen würde, ginge es natürlich trotzdem. Dazu müsste allerdings die spanische Regierung einlenken und ernsthaft verhandeln, statt die eigenen Bürger zusammenknüppeln lassen.

      Zu den Verhaltensmustern fällt mir gerade kein guter Blogbeitrag ein. Die von Ihnen angesprochenen ganz großen Lebensentscheidungen trifft man nicht dauernd, so dass sich bei den meisten Menschen auch keine Muster herausbilden können und diese Entscheidungen mit nur wenig Erfahrung getroffen werden müssen. Wer hingegen ständig den Partner oder Beruf wechselt, macht vermutlich systematisch etwas falsch.

  12. Am 10/04/2014 um 18:00, schrieb ich hier an gleicher Stelle –

    Sie gehen da der Propaganda von Pseudo-Stämmen und Separisten auf den Leim, die ähnlich der AfD gepolt sind. Wenn Sie nicht auf Wilfried den Haarigen zurückgehen wollen, MÜSSEN Sie einräumen, dass die Katalonen genauso Spanier sind wie Basken, Madrilenen, Andalusier oder Galizier. Es gehört zur Grundlage-Defintion einer Nation, das bestimmte Eigenschaften zugunsten eines übergeordneten Ganzen aufgegeben werden, um eine höhere Einheit, meist basierend auf einer verfeinerter Kultur und einer besseren Rechtssicherheit zu schaffen. Das ist in Spanien der Fall und durchaus schätze ich den Beitrag der Katalenen dazu, z.B. bei der Abschaffung des Stierkampfes. Doch wer die Unabhängigkeit (die es längst weitreichend auf der Basis der „autonomen Regionen“ gibt) so unterstützt, aufdass eine Spaltung eines nationalen Gemeinswesens erfolgt, handelt abenteuerlich und ahistorisch, ja anarchronistisch – und steht zuletzt da als Mitglied einer schutzlosen Sippe, die von einer größeren erfolgreich angegriffen wurde. Wer DIESE Bande – durchaus im Wortsinn – akzeptiert, steht außerhalb liberaler Definitionen! Wer das will, muss auch dem dümmsten Stammtischdeppen aus Bayern, der kaum die deutsche Sprache beherrscht, seinen Willen lassen. Das alles ist nicht im Sinne des Erfinders, sondern entspricht einer überwundenen Menschheitsphase. Seitdem dieses RECHTE Prinzip herrscht, dem die Identitären mit ihrem abstrusen Anhang nahe kommen, darf die Menschheit nochmal von vorn anfangen. Senior Rajoy, als personifizierte Hoffnung für das bürgerliche Spanien, wird ein gutes Händchen benötigen – und alles was ich über ihn weiß und wie ich ihn in Spanien kennen und schätzen lernte, lässt hoffen, dass er die richtigen Maßnahmen ergreifen wird. Zuletzt: wenn die spanische Adminstration sagt, es sei rechtens, dass die Separatisten gestoppt werden, dann ersuche ich um einen klaren Beweis warum das nicht verfassungsgemäß sei – alles andere ist Obskurantismus.

    • Das hatte ich damals schon (hier) beantwortet. Herr Rajoy hat jetzt durch das Anwenden von Gewalt gegen ganz normale Bürger eben nicht „die richtigen Maßnahmen“ ergriffen und kein „gutes Händchen“ gezeigt. Legalität und Legitimität können gerade in solchen Fragen auseinanderfallen bzw. nur mit viel mehr Fingerspitzengefühl und Verhandlungsbereitschaft wieder zur Deckung gebracht werden. Ich bin doch gar nicht für tatsächliche Sezession, aber diese absolut verbieten und gewaltsam verhindern zu wollen, ist weder liberal noch demokratisch.

    • Nun Frau Krienen, ich bin schon sehr gespannt, ob Sie Ihre Meinung durchhalten, wenn die Vereinigten Staaten von Europa (VSE) auch offiziell Realität geworden sind und auch, welche Sprache dann in den VSE Amtspsprache ist (Esperanto?), derer Sie dann hoffentlich mächtig sind …

    • Als Außenstehender kann man über die Mittel und die Art und Weise urteilen. Man kann darüber urteilen, ob die Staatsorganisation den Bedürfnissen des Volkes oder der Völker gerecht wird. Nationale Befindlichkeit ist rational nicht zugänglich. In der Schweiz dürften die Unterschiede zwischen den Völkern viel größer als in Spanien sein, trotzdem funktioniert der Verbund. Die EU könnte mit einer vernünftigen Staatsorganisation auch funktionieren, aber vermutlich bis auf weiteres nur als Staatenbund und mit einer starken förderalen / regionalen Struktur, die ggf. sogar auch die Spannungsverhältnisse in GB, FR, IT und ES entlasten könnte.

      • Es ist ein immenser Unterschied, ob sich eine Gemeinschaft freiwillig zusammenfindet und auch freiwillig zusammen bleibt, oder ob sie dazu gezwungen wird.

      • Was heißt schon freiwillig ? Die Westfalen könnten sich auch nicht einfach von Deutschland abtrennen und sich für autonom erklären. Dafür gibt es keine gesetzliche Rechtsgrundlage.

        Wenn sich die Westfalen partout trennen wollten, dann müsste letztlich Deutschland als ultima ratio die Westfalen ziehen lassen, wenn es nicht einen Bürgerkrieg verursachen will. Dass der Schritt der Westfalen völliger Unfug wäre, das steht auf einem anderen Blatt. Man kann aber trotzdem nicht dauerhaft bis in alle Ewigkeit eine ungewollte Gemeinschaft erzwingen.

      • Ja, man kann jedoch den Willen einer unzufriedenen Bevölkerungsgruppe zu beeinflussen versuchen. Außerdem kann man auf einem geordneten Verfahren (welches man dafür allerdings dann auch anbieten muss) und demokratische Mehrheiten bestehen. Wenn nur eine gewalttätige Minderheit sich abspalten will, sind polizeiliche Maßnahmen dagegen durchaus gerechtfertigt.

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